Die beeindruckende Transformation der Comuna 4: Ein Blick auf Medellíns Wandel

Medellin

Im Dezember 2023 besuchte ich die pulsierende Stadt Medellín. Die kolumbianische Metropole und einst die gefährlichste Städte der Welt, faszinierte mich mit ihrer Vielfalt. Ich wollte tiefer in ihre spannende Geschichte und ihre bemerkenswerte Transformation einzutauchen. Eine der prägendsten Erfahrungen während meines Aufenthalts war die Barrio Transformation Tour durch die Comuna 4,(„Comuna Cuatro“) ein Barrio („Viertel“), das sich erst vor kurzem für den Tourismus geöffnet hat und behutsam den Alltag der dort lebenden Menschen mit Interessierten teilt. Als Transformationsdesigner haben mich die Ansätze fasziniert, die teilweise geplant und teils ungeplant durch Eigendynamiken zur Veränderung der Lebensbedingungen und zur Stärkung der Gemeinschaft eingesetzt wurden. Die Tour hat mir nicht nur einen Einblick in die einzigartigen Herausforderungen und Errungenschaften von der Comuna 4 gegeben, sondern auch die Bedeutung von partizipativen Modellen, kultureller Revitalisierung und sozialer Mobilität verdeutlicht. In diesem Artikel möchte ich meine Beobachtungen teilen und darauf eingehen, dass die Transformation der Comuna 4 wichtige Impulse für zukünftige Entwicklungen in benachteiligten Gemeinden bieten kann.

Die Transformation der Comuna 4 in Medellín, die offiziell Barrio Moravia heißt, ist ein faszinierendes Beispiel für die Chancen der Gemeinschaft und die Möglichkeiten des sozialen Wandels. Von prekärsten Wohnverhältnissen geprägt, hat die Comuna 4 eine bemerkenswerte Reise durchlebt, die von Widerstand, Innovation und Zusammenarbeit geprägt ist. Das Centro de Desarrollo Cultural De Moravia ist heute das Herzstück des Viertels, in dem Bewohner zusammenkommen und Ideen austauschen.

In den 1980er Jahren war die Comuna 4 mit Müllbergen übersät, und die Bewohner lebten in Häusern, die selbst die grundlegendsten Standards nicht erfüllten. Die Hintergründe reichen zurück in die Ära des kolumbianischen Konflikts, als Menschen aus dem ländlichen Raum vor den bewaffneten Zusammenstößen verschiedener Gruppierungen in die Städte flohen. Inmitten dieses Chaos landeten viele Menschen als Geflüchtete in Medellín und damit in der Comuna 4. Die Müllberge, die daraufhin die Comuna 4 prägten, entstanden aber nicht durch die Menschen vor Ort. Der Platz wurde von der Stadt selbst als Mülldeponie ausgewählt. Mit Abfall beladene Lastwagen kamen. Fortan fanden sich die kleinen Holzhütten neben riesigen, dampfenden Bergen aus Müll wieder. Doch wo sich jetzt vermuten ließe, dass das der Todesstoß für diese Siedlung war, kam es anders: Genau dieser Abfall wurde für die Menschen vor Ort zur Lebensader. Für sie war es das Essen, das vom Himmel fiel. Und mehr: Wertstoffe wurden recycelt, so gut es möglich war weiterverarbeitet, oder an die Fabriken vor Ort verkauft. Plötzlich besaßen die Menschen nicht nur das Nötigste zum Überleben, sondern auch ein bisschen Geld, um sich etwas kaufen zu können, zum Beispiel Lebensmittel. Für vier Kilogramm recycelten Abfall gab es Reis und Bohnen. Eine Frau zeigte mir die ersten Münzen, die sie durch das Sammeln eingenommen hatte. Diese Münzen bedeuteten für sie Nahrung, Leben, und die Chance auf die Erfüllung ihrer Träume.

Die ersten Häuser in Moravia wurden buchstäblich auf diesem Müll gebaut, und tausende fanden Zuflucht auf den Müllhalden. Bis zu 8.000 Menschen lebten dort. Schließlich wurde den Menschen angeboten, kostenlose Wohnungen zu beziehen. Aber der Widerstand war stark, da die neuen Apartments weit von der bisherigen Heimat entfernt waren. Und sie waren teurer im Unterhalt, denn für die bisherigen Behausungen fielen keine Kosten für die Wasser- und Stromversorgung an. Zu Beginn wollten deshalb viele ihre Heimat nicht verlassen und galten damit bei manchen im Rest der Stadt als undankbar. Die Integration einer Seilbahn, die heute mit mehreren Linien die Stadt verbindet, verbesserte die Zugänglichkeit. Schließlich verließen die meisten Menschen die Comuna. Heute leben noch etwa 10 % der ursprünglichen Bevölkerung dort, viele Hütten verschwanden, wurden zu Wohnhäusern oder wichen gemeinschaftlichen Projekten wie Gemeinschaftsgärten. Während der Corona-Pandemie stieg diese Zahl wieder an.

Eine besondere Rolle bei der Transformation spielte außerdem das Estrato-System, das die sozioökonomische Klasse einer Region in Kolumbien angibt. Diese Estratos reichen von 1 bis 6, wobei 1 die ärmste und 6 die wohlhabendste Klasse repräsentiert. In diesem System erhält die Bevölkerung der niedrigsten Estratos (1, 2 und 3) Subventionen für Dienstleistungen wie Wasser, Gas und Energie, während Menschen in den höchsten Estratos (5 und 6) über ihre Rechnungen zur Finanzierung dieser Subventionen beitragen. Wer in der Estrato 4 wohnt, zahlt weder zusätzliche Kosten noch erhalten sie Unterstützung. Gleichzeitig kann das System der Estratos aber auch stigmatisieren, insbesondere bei den niedrigen Estratos. Die Höhe der Zahlen kann entscheidend sein, um einen Job zu bekommen oder an welcher Universität studiert wird. Obwohl die Einteilung die am stärksten Benachteiligten stärken wollte, hat das Klassifikationssystem gleichzeitig die Ungleichheit und Segregation im Land verstärkt. (1)

Die Comuna 4, anfangs eher in den niedrigeren Strata angesiedelt, erlebte durch den Wandel einen Anstieg in höhere Estratos, was zu einer verbesserten Infrastruktur und Lebensqualität beitrug. In jüngerer Zeit hat die Gemeinschaft mit Herausforderungen wie der COVID-19-Pandemie zu kämpfen gehabt. Menschen kamen zwangsweise, aber auch freiwillig zurück in die Comuna, um dort wieder zu wohnen. Bereits angelegte Gemeinschaftsgärten verschwanden und wichen wieder Wohnblöcken. Trotz allem blüht die Comuna 4 heute als ein Musterbeispiel für partizipative Strukturen auf. Mit dem Centro de Desarrollo Cultural De Moravia, eines der letzten Werke des Architekten Rogelio Salmona (2) entstand ein von den Menschen vor Ort verwalteter Kulturraum, in dem sie zusammenkommen, Ideen austauschen und sich für das Wohl der Gemeinschaft einsetzen. Das Zentrum spiegelt die Entschlossenheit der Bewohner wider, ihre Umstände zu verbessern, und ist geprägt von politischen Einflüssen, sozialer Solidarität und der Teilnahme der Gemeinschaft. (3)

Insgesamt spricht Jorge Melguizo, Berater für öffentliche Verwaltung und Kultur der Red Bibliotecas Medellín vom Wunsch von einem Wandel von nachhaltigen Städten zu nachhaltigen Gesellschaften. In Medellín wurde das erreicht durch kulturelle, pädagogische und urbane Transformationsprojekte. Melguizo hält fest, dass es notwendig sei, dass die Mehrheit der Bevölkerung Mindestbedingungen erreichen müsse und dann anfangen würde, nach mehr zu verlangen. Dies betreffe Waren und Dienstleistungen, aber insbesondere auch Kultur, Erholung und Sport, um das Wohlergehen weiter zu steigern. Medellín ging mit einer anderen Formel gegen die Unsicherheit vor: die Koexistenz aufzubauen, nicht die Sicherheit. Soziale, pädagogische und kulturelle Projekte formen heute das Zusammenleben. Die Mittelklasse spielt eine entscheidende Rolle in der Transformation von Medellín, insbesondere im Zusammenhang mit dem Estrato-System. Durch den sozialen Wandel und die damit einhergehende Verbesserung der Lebensbedingungen haben Teile der Bevölkerung in höhere Estratos aufsteigen können. Die Stärkung der Mittelklasse würde somit zur Stabilität zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Förderung von Bildung und Kultur in der Stadt beitragen. Ihr Beitrag ist zentral für die positive Veränderung von Medellín. (4) Die bemerkenswerte Transformation von Comuna 4 und anderen Comunas in Medellín macht die Stadt zu einer faszinierenden Inspiration für die Transformationsprozesse, indem sie Einblicke in die Widerstandsfähigkeit von Gemeinschaften, partizipative Entwicklungsmodelle und die Interaktion von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Einflüssen bietet.

Große soziale Veränderungen können möglich sein, wenn alle zusammenarbeiten. Dazu gehören Regierungen, Unternehmen und die Gemeinschaft. Die Transformation der Comuna 4 ist ein inspirierendes Beispiel für den Wandel einer Comuna und die Verbesserung der Lebensqualität durch die Kraft der Gemeinschaft, Innovation und Zusammenarbeit, sowohl der Zivilgesellschaft, als auch der Privatwirtschaft. Damit wurde die Stadt Medellín schrittweise auch für den Tourismus interessant und weiter aufgewertet. Von prekären Lebensbedingungen geprägt, hat die Comuna 4 eine bemerkenswerte Reise durchlebt. Gleichzeitig zeigt sich so aber auch die Eigendynamik von Transformationsprozessen. Ein faszinierendes Beispiel dafür, wie partizipative Ansätze, kulturelle Interventionen und soziale Mobilität zur Förderung von nachhaltigen Transformationsprozessen in benachteiligten Gemeinden beitragen können.

Nichtsdestotrotz gilt es natürlich noch zu erwähnen, dass Medellín nur im Vergleich mit anderen südamerikanischen Städten als sicher gesehen werden kann. Es gibt Gebiete, wie die, die am Rand der Stadt liegen, und nicht einmal einen Rang im Estrato-System haben, also prekär sind und trotzdem keine Unterstützung erhalten. Die einzelnen Stadtgebiete unterscheiden sich sowohl in der Sicherheit, als auch im Stadtbild. Aber auch diese Vielfalt, in einer einzigen Stadt mehrere Entwicklungs- und Ausbaustufen zu sehen, macht Medellín so interessant.

Quellen:
(1) vgl. https://www.elcolombiano.com/negocios/economia/el-mapa-de-los-estratos-en-las-grandes-ciudades-de-colombia-EM10855643
(2) vgl. https://360enconcreto.com/blog/detalle/centro-de-desarrollo-cultural-de-moravia-legado-de-salmona/)
(3) vgl. https://www.fundacionrogeliosalmona.org/proyectos/centro-cultural-moravia
(4) vgl. https://www.creativityculturecapital.org/blog/2021/09/13/culture-the-key-to-the-transformation-of-medellin/

Weiterführende Links:

Grundriss des Centrocultural der Rogelio Salmona Foundation:
https://www.fundacionrogeliosalmona.org/proyectos/centro-cultural-moravia

Im Fotoarchiv des Centrocultrual werden Bilder des Entstehungsprozesses des Viertels gezeigt:

Videobeitrag von Arte zum französisch-kolumbianischen Architekten Rogelio Salmona: https://www.arte.tv/de/videos/118455-001-A/rogelio-salmona-der-architekt-der-bogota-oeffnete/

Beschreibung einer kompletten Barrio Transformation Tour:

Barrio Transformation Tour buchen:
https://realcitytours.com/barrio-transformation-tour/


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